Da ist es wieder, das Phänomen Nostalgie. War früher wirklich alles besser? Wenn man nicht gerade Mittzwanziger ist, erwischt man sich heutzutage oft dabei sich an ältere Filmprojekte zu erinnern. Dabei ist die Nostalgie in gewisser Weise ein Gefühlszustand, bei dem man sich nach wohl bekannten, funktionierenden Sachen zurücksehnt. Nun gibt es auch viele neue, gute Filmprojekte, aber immer wieder bedienen die Filmemacher sich der guten alten Zeiten. Aber was sind die guten alten Zeiten? Da ich mit solchen TV-Serien wie MACGYVER, AIRWOLF oder COLUMBO groß geworden bin, kommen mir da oft die 1980er in den Sinn. Und als ich klein war, war Lee Majors einer der Großen im Geschäft. In über 100 Episoden und 5 Staffeln in der beliebten 1970er TV-Serie DER SECHS MILLIONEN DOLLAR MANN machte er so gut wie alle Stunts selbst. Er spielte dort einen Astronauten und Testpiloten, der bei einem Flugzeugabsturz lebensgefährlich verletzt wurde und nur eine sechs Millionen Dollar teuere Operation konnte ihm das Leben retten, wobei ihm ein Auge, ein Arm und beide Beine durch bionische Körperteile ersetzt wurden. Mit dieser erlangten Superkraft kämpfte er fortan als Agent.
Bei EIN COLT FÜR ALLE FÄLLE, die in den 1980ern folgte, war alles etwas geerdeter. Eben dieser Lee Majors spielte nun einen Stuntman namens Colt Seavers, der gemeinsam mit seinem Cousin Howie und seiner Kollegin Jody Banks Kopfgeldjäger für ein Unternehmen mimte, das Kautionen für Angeklagte stellte und gegen Prämie wieder einfangen ließ. Ab dem 30.04.2024 kommt nun der Film THE FALL GUY in die deutschen Kinos, der - und das muss man betonen - nicht auf der erfolgreichen 1980er TV-Serie EIN COLT FÜR ALLE FÄLLE basiert, sondern lediglich von dieser inspiriert worden ist, denn - das sei vorweg genommen - die Suche nach vielen Gemeinsamkeiten zwischen Serie und Film bleibt erfolglos.
Was passt ist der Name Colt Seavers. Dieser bleibt auch noch 38 Jahre nach der Ausstrahlung der letzten Folge gleich. In die Rolle des Stuntman schlüpft dieses Mal einer der momentan coolsten - einige würden vielleicht sogar sagen heißesten - Vertreter Hollywoods: Ryan Gosling. Der Film nimmt uns mit in die Welt der Actionfilme, in der sich alles um waghalsige Stunts und adrenalingeladene Sequenzen dreht. Einmal mehr bekommen wir den Film im Film. Das sogenannte Reflexive Kino thematisiert das Kino und seine Geschichte und legt in diesem Falle weniger auf das Filmemachen den Fokus, vielmehr auf die Schwierigkeiten einer wichtigen Crew, die der Stuntmen. Bekannte Vertreter dieses Genres sind SINGIN’ IN THE RAIN, THE ARTIST oder erst kürzlich BABYLON - RAUSCH DER EKSTASE von Damien Chazelle, in dem - und da schlagen wir auch gleich die Brücke zum heutigen Film - Brad Pitt in der goldenen Ära Hollyowods der 1920er Jahren den größten Filmstar dieser Zeit spielte, Jack Conrad. Eine Ära, als der erste Tonfilm den Stummfilm ablöste. Und eben dieser Brad Pitt wurde 1999 in FIGHT CLUB in den gefährlichen Stuntszenen von einem Mann gedoubled, David Leitch. Einige Jahre harter Arbeit später, wie Leitch selber sagt, geprägt von purer Entschlossenheit, wollte er immer Teil hinter den Kulissen werden und selber Regie führen. Nun findet man Titel wie ATOMIC BLONDE, DEADPOOL 2, FAST & FURIOUS: HOBBS & SHAW oder auch BULLE TRAIN, den er gemeinsam mit Brad Pitt drehte, in seiner Filmografie. THE FALL GUY schließt sich nun diesen Vorgängern an. Seit 2010 wurde an diesem Projekt gearbeitet und für die Rolle des Colt Seavers wurden in dieser Zeit Namen wie Tom Cruise, Keanu Reeves, Nicolas Cage, Jason Statham oder Dwayne Johnson aufgerufen. Den Zuschlag erhielt - wie bereits erwähnt - Ryan Gosling, der nicht nur in LA LA LAND brillierte, sondern vielen noch zuletzt als Ken in BARBIE in Erinnerung sein dürfte. Goslings Figur wird hier in die Luft gesprengt, man schießt auf sie und sie fällt aus großen Höhen... alles dient der Unterhaltung. Doch als ein Unfall seine Karriere beendet, zieht sich Colt Seavers zurück. Als seine alte Agentin ihn dann doch ausfindig macht, soll er einen vermissten Filmstar aufspüren und gerät dabei in eine Verschwörung. Sein Augenmerk legt er aber darauf - und das ist die für ihn viel wichtigere Sache - die Liebe seines Lebens zurückzugewinnen: Jody Moreno. Jody dreht gerade ihr Erstlingswerk, einen Sci-Fi-Western, für den er als Stuntman engagiert wird. Viel zu tun für Colt Seavers und letzten Endes Ryan Gosling, der in Sydney bei den Dreharbeiten sogar einige Stuntszenen selbst übernahm.
Bei diesem Film steht das Huldigen des für Hollywood so wichtigen Apartments der Stuntleute im Vordergrund, es gibt eine handgemachte Actionszenen nach der anderen. Bei vielen wird gar nicht erst versucht, den Stuntman wie Gosling aussehen zu lassen und man sieht genau, dass dieser Sprung jetzt gerade nicht von einem 43-jährigen Hollywoodstar getätigt wurde, der um die 50 Millionen Dollar pro Jahr verdient, sondern eben von jenem Stuntman, um den es doch hier gerade geht. Ein Fakt, der in diesem Filmprojekt gar nicht schlimm erscheint. In Person und da sollte man in diesem Falle auch die Namen nennen, sind das die Stuntmen Ben Jenkin und Logan Holladay. Bei den Dreharbeiten an den Stränden von Sydney schaffte es Stuntfahrer Holladay sogar den bis dato gehaltenen Weltrekord der meisten Canon Rolls in einem Auto zu brechen, den der Stuntman Adam Kirley mit JAMES BOND 007 - CASINO ROYALE hielt. Holladays Auto überschlug sich bei seinem Stunt unglaubliche achteinhalb Mal... und passiert ist nichts, dank der wochenlangen, manchmal sogar monatelangen Vorbereitungszeit solcher Stunts. Viel Action, zahlreiche Lacher und eine Spannung waren also vorprogrammiert bei diesem Film, aber erreicht er die Raffinesse der Serie? Gerade die Dreierkonstellation in der Serie zwischen Lee Majors, seinem Cousin Howie, den er liebenswürdigerweise "Kid" oder "Kleiner" nannte, obwohl dieser viel größer war und der blonden kalifornischen Schönheit Heather Thomas machte die Serie aus. Dies vermisst man leider komplett in dem Film und Emily Blunt als Objekt der Begierde für unseren mutigen Helden - so lieb wie sie auch ist - bleibt leider blass. Fazit: Wenn man nicht zu viele Verbindungen zwischen THE FALL GUY und EIN COLT FÜR ALLE FÄLLE zu finden versucht ... wenn man Howie und Jody Banks nicht ständig verzweifelt vermisst, dann kann man dem Film auch etwas abgewinnen. Es ist halt kein EIN COLT FÜR ALLE FÄLLE, dafür aber ein Ryan Gosling - Film ... und die stehen bekanntlich für pure Unterhaltung, eben für diesen coolen - anfangs erwähnten - heißen Shit aus Hollywood.