DIE VORKOSTERINNEN - Gefangen zwischen Pflicht, Zwang und Überlebenswille
- Haiko
- 8. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Mai
Für die Berliner des Jahres 1942 war das Leben von ständiger Angst und Unsicherheit geprägt. Die Luftschutzsirenen heulten regelmäßig, warnten vor feindlichen Luftangriffen und rissen die Bewohner mitten aus ihrem Alltag. Menschen harrten in improvisierten Bunkern aus, während über ihren Köpfen Bomben detonierten und die Erde erschütterten. Aus diesem Grauen versucht Rosa Sauer zu entkommen. Ihr Mann kämpft schon seit Langem an der Ostfront. Bei ihren Schwiegereltern im ländlichen Ostpreußen findet sie Zuflucht. Dort erfährt sie, dass der Führer sich im nahegelegenen Waldstück aufhält, abgeschottet und gut gesichert. Eines Tages klopft die SS an der Tür und nimmt Rosa mit. Gemeinsam mit anderen Frauen wird sie zwangsrekrutiert, um als Vorkosterin für Mahlzeiten zu dienen, die Adolf Hitler serviert werden. Die ständige Angst vor einem Giftanschlag lastet nicht nur auf den Beschützern von Hitler, sondern auch schwer auf den Frauen. Als das Attentat vom 20. Juli 1944 scheitert und die Rote Armee immer näher rückt, muss Rosa einen Weg finden, sich und ihre Freundin vor dem sicheren Tod zu retten.

DIE VORKOSTERINNEN begibt sich fernab von den bekannten Schauplätzen des Zweiten Weltkrieges und beleuchtet ein bislang wenig beachtetes Kapitel der NS-Diktatur. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Rosella Postorino, inspiriert von der Biografie der Berlinerin Margot Woelk. Erst im hohen Alter von 95 Jahren brach Woelk ihr Schweigen und enthüllte, dass sie einer Gruppe von Frauen angehörte, die in der Nähe des Führerhauptquartiers „Wolfschanze“ Hitlers Mahlzeiten auf Gift testen mussten. Sie soll eine von fünfzehn Frauen gewesen sein, die in ständiger Todesangst das Essen des Diktators überprüften. Ihre Geschichte ist ein kraftvolles Zeugnis einer wahnsinnigen Zeit - für Standhaftigkeit und den bitteren Überlebenswillen einer Frau, die sich unter extremen Bedingungen nicht nur behaupten musste, sondern auch ihre Menschlichkeit bewahrte. Regisseur Silvio Soldini feierte mit seinem Meisterwerk BROT & TULPEN große Erfolge, gewann zahlreiche Preise und erregte internationales Aufsehen. Mit DIE VORKOSTERINNEN wagt er sich an ein düsteres Kapitel der Geschichte und stellt sich dabei erstmals der Herausforderung, den Film originär in deutscher Sprache zu drehen. Dafür konnte er eine beeindruckende deutschsprachige Besetzung gewinnen: Elisa Schlott verkörpert die Hauptrolle der Rosa Sauer, während Max Riemelt als Albert Ziegler an ihrer Seite agiert. Beide nehmen die Zuschauer mit in die bedrückende Atmosphäre der NS-Zeit und erzählen eine Geschichte von Furchtlosigkeit, Durchhaltevermögen und moralischen Konflikten. In einer Zeit, in der viele Filme bereits die Schrecken des Dritten Reiches erzählt haben, wagt DIE VORKOSTERINNEN einen mutigen Schritt abseits der bekannten Schauplätze wie Berlin oder Nürnberg. Der Film verlagert das Geschehen in ein abgelegenes Dorf, über 600 Kilometer entfernt von Berlin, nahe der heutigen Grenze zwischen Polen und Litauen – an den geheimen Ort der Wolfsschanze. Hier, inmitten dichter Wälder, entfaltet sich eine Geschichte, die sich nicht auf die monumentalen Strukturen der Macht konzentriert, sondern auf das unscheinbare Leben gewöhnlicher Frauen im Schatten des Krieges. Die Architektur der Wolfsschanze bleibt im Hintergrund, ebenso wie die Figur Adolf Hitlers; der Fokus liegt auf sieben Frauen, die von der SS aus dem nahen Umfeld der Wolfsschanze rekrutiert wurden. Nach ihrer Abholung wissen sie zunächst nicht, warum sie ausgewählt wurden, bis ihnen das Unglaubliche offenbart wird.
In eindrucksvollen Szenen erleben wir, wie der Koch des „Führers" täglich versucht, aus den immer knapper werdenden Lebensmitteln ein Festmahl zuzubereiten – ein Akt der Kreativität, des eigenen Entfaltens, aber auch des Überlebenswillens inmitten von Entbehrung und Angst.

In den Erzählungen über den Zweiten Weltkrieg wurden die Perspektiven von Frauen bislang nicht oft thematisiert. Beispiele wie Sophie Scholl und die „Weiße Rose“ bilden da eher die Ausnahme, obwohl zum Ende des Zweiten Weltkrieges der Frauenanteil der NSDAP-Mitglieder bei 37 Prozent lag. Da wird es doch Geschichten geben, die zu erzählen sind, sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite. DIE VORKOSTERINNEN ist eine davon. Die Gruppe der Frauen ist dabei bunt gemischt. Ihre Charaktere sind ebenso vielfältig wie die Umstände, die sie an diesen geheimen Ort führen. Von fanatisch dem Endsieg ergebenen bis hin zu zutiefst verängstigten Frauen ist alles vertreten. Eine von ihnen ist schwanger, was niemand weiß. Als sie sich übergeben muss, vermuten die stets lauernden SS-Wachen, dass sie vom Essen vergiftet wurde. Eine andere birgt ein noch gefährlicheres Geheimnis. Eines verbindet die Frauen jedoch, trotz ihrer unterschiedlichen Hintergründe, sie sind Gefangene. Gefangen in einem surrealen Unterfangen für einen Wahnsinnigen, der selbst vor hochgelobten Gleichgesinnten nicht Halt macht, um seine Ziele zu erreichen.
Ein Antikriegsfilm läuft immer Gefahr, an Authentizität zu verlieren, wenn er sich zu sehr von den düsteren Realitäten des Krieges entfernt. Sobald Gewalt und Zerstörung, Blut, Mord und Totschlag ausgeklammert werden, bewegt sich der Film schnell in einer unwirklichen Parallelwelt. Dabei ist keinesfalls das Leid der ländlichen Bevölkerung zu verharmlosen oder gar zu ignorieren. Wenn solche Entscheidungen aus produktionstechnischen Erwägungen getroffen werden, wie in diesem Falle - ist das nachvollziehbar, doch meist unglücklich. Dem Film hilft das für gewöhnlich wenig. Der Film entfaltet sich somit erst richtig am Ende, wenn sich die Konflikte zu einem explosiven Showdown zuspitzen und die Spannung einen dramatischen Höhepunkt erreicht.

Max Riemelt verkörpert die Figur des SS-Obersturmbannführers Albert Ziegler. Er entwickelt eine geheime Liebesbeziehung zu Rosa, deren Ehemann mittlerweile an der Ostfront vermisst wird. Beide sind ausgezehrt von fehlenden Berührungen und Liebesentzug. Tagsüber drangsaliert Ziegler die Frauen und lässt sogar durch Waffengewalt die Mahlzeiten zu Ende bringen. Nachts steht er wie ein kleiner Junge unter Rosas Fenster und erbittet Eintritt. Beide lieben sich im Stroh. Die Zusammenkünfte sind streng geheim und zeichnen den Wahnsinn des Krieges nach. Erfrischend ist die Darbietung von Boris Aljinovic als Chefkoch, dessen Leidenschaft die Zubereitung exquisiter Gerichte für seinen Führer gilt. Ihm interessiert, ob und wie sein Führer nächtigte und überspielt dabei geschickt, was für ein Wahnsinn eigentlich da draußen tobt. Zu den Frauen ist er nicht hart. Das ist auch nicht sein Auftrag. Seine Mission ist es den Führer satt zu kriegen und ihm so zum Endsieg zu verhelfen. Und die Frauen sollen vorkosten. Mit diesen Maßnahmen setzt dich der Diktator so mit mittelalterlichen Monarchen gleich, die ebenfalls Vorkoster beschäftigten – ein weiterer Ausdruck seines absurden Wahnsinns. Fazit: DIE VORKOSTERINNEN beleuchtet ein eher unbekanntes Kapitel des Zweiten Weltkrieges, das in den eigenen Reihen nicht grausamer sein könnte. Der Film erzählt von Annäherungen, Vertrauen und der Gunst unter Mittätern. Es gibt Momente, in denen die zwei Stunden etwas zäh wirken. Alles in allem aber ist er ein gelungenes Projekt - und gerade zum 80. Jahrestag des Kriegsendes sowie in der heutigen Zeit wichtiger denn je.

Bilder und Trailer: © Busch Media Group GmbH
Klingt spannend, den merk ich mir mal vor. Ob ich da ins Kino muss weiss ich aber noch nicht...