Inhalt: Harlan Thrombey (Christopher Plummer) ist tot! Mit aufgeschlitzter Kehle wird der Krimi-Bestsellerautor in seinem Arbeitszimmer aufgefunden. Untersuchungen am Tatort ergeben ganz klar: Es handelt sich um Selbstmord. Privatdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) hat seine Zweifel. Er wurde von einer anonymen Quelle angeheuert, um einen genaueren Blick in das mehrstöckige Anwesen der Thrombeys zu werfen, in der beinahe alle Familienmitglieder residieren. In der Nacht des Mordes feierte die Familie den 85. Geburtstag von Harlan, aus dessen Reichtum zwei Generationen ihren Wohlstand speisen. Unter den feindseligen Blicken der Angehörigen beginnt Blanc seine Ermittlungen. Lediglich die junge Marta Cabrera (Ana de Armas), bis zuletzt Pflegerin und enge Vertraute von Harlan, scheint auf seiner Seite zu sein. Kritik: Rian Johnson hätte sich eigentlich eine Auszeit verdient. Der Autor und Regisseur des umstrittenen "Star Wars: Die letzten Jedi" sah sich im Verlauf der letzten zwei Jahre dem Zorn einer ganzen Fangemeinde ausgesetzt, die ihrem Unmut über Johnsons Beitrag zur Sternenkriegssaga vor allem in den Weiten des Internets lautstark Gehör verschafften. Johnson sieht sich täglich Twitter-Anfeindungen ausgesetzt, Darstellerin Kelly Marie Tran löschte nach einer Welle rassistischer Kommentare ihren Instagram-Account. Social-Media- und Mikroblogging-Dienste sind unlängst in politische Plattformen transformiert, in denen Hetze, Populismus und andauernder Empörung in 280 Zeichen Platz gemacht werden kann. Politiker schaffen es mit brisanten Tweets in die Abendnachrichten, Kunstschaffende in den vorzeitigen Ruhestand. Im Jahr 2019 ist die Handytastatur mächtiger als die Feder und das Schwert.
"Knives Out", Rian Johnsons erster Film seit seiner Franchise-Feuerprobe, ist nicht direkt ein Film über das Internet. Er ist auch nicht direkt eine Hommage an klassisches Whodunnit-Kino, sondern viel eher eine zeitgemäße Aufbereitung ebendieses. Dramaturgisch folgt Johnson seinen Vorbildern, selbst wenn er am tatsächlichen Tathergang bereits früh keinen Zweifel mehr lässt und damit eine Regel vieler ihm vorausgehender Genrebeiträge bricht. Spannend bleibt es trotzdem bis zum Schluss. Johnsons Film ist ein pointiertes, scharfsinniges und klug konstruiertes Vergnügen, das den detektivischen Spürsinn seines Publikums herausfordert und mit geschickt platzierten Nebelkerzen immer wieder in die Irre zu führen vermag. Agatha Christie und Arthur Conan Doyle hätten sicher ihre Freude an "Knives Out" gehabt.
Dass es sich bei Johnsons Film aber eben nicht nur um Emulation handelt, macht sich im thematischen Kern der Geschichte bemerkbar. "Knives Out" möchte sich, manchmal vielleicht sogar etwas zu angestrengt, als Film aus der und über die Welt von heute verstanden wissen. Als Film über Klassenunterschiede, Alltagsrassismus und eine Kommunikationskultur, die Mitglieder marginalisierter Gruppen zum Spielball politischer Parteien hat werden lassen. Hauptattraktion des Films ist nicht Daniel Craigs herrlich kauziger Privatdetektiv Benoit Blanc, sondern Pflegerin Marta Cabrera, die als junge, hübsche Immigrantin zum progressiven Aushängeschild des zutiefst konservativen Familienanwesens degradiert wurde. Sie wird, hinter Masken aufgesetzten Wohlwollens, diffamiert und instrumentalisiert, nie aber als Mensch wahrgenommen.
Marta sei Teil der Familie, erklären die Thrombeys ihr und Blanc immer wieder. Darauf einigen, aus welchem Land ihre Familie ursprünglich stammt, kann sich aber niemand. Während Harlans' Geburtstagsparty, an der Johnson sein Publikum wiederholt in Rückblenden teilhaben lässt, geht es zum Dessert um Politik. In der Diskussion, in die Marta nur als menschliche Gedankenblase miteinbezogen wird, lässt Johnson seine Figuren genau jenen Gestus nachahmen und genau jene Argumente rezitieren, die den sogenannten Online-Diskurs so ergebnislos gestalten. Den populistischen Keyboard-Kriegern beider Seiten wird hier nichts als Spott serviert. "Knives Out" rechnet scharfzüngig mit genau dem performativen Scheinliberalismus ab, der für seine Filmfiguren spätestens mit der Verlesung von Harlans Testament in sich zusammenbricht.
Dass dieser thematische Überbau nie aufgepfropft wirkt, sondern sich ganz selbstverständlich aus der Whodunnit-Prämisse zu ergeben scheint, ist einer der größten Verdienste von Autor und Regisseur Rian Johnson. Nicht jede Spitze sitzt punktgenau, der eine oder andere Verweis macht das Anliegen etwas überdeutlich, aber selbst im ärgsten Fall wird der Film umgehend von seinem bestechenden Schauspielerensemble aufgefangen. Die Charge der Thrombey-Familie mitzuverfolgen macht großen Spaß, Craigs schrulliger Benoit Blanc reiht sich würdevoll in eine reiche Geschichte exzentrischer Privatdetektive ein, und die mutige, unerschrockene und empathische Marta Cabrera, zauberhaft gespielt von Ana de Armas, schwingt sich zu einer der tollsten Leinwandheldinnen des Kinojahres 2019 auf.
"Knives Out" ist ganz Cabreras und damit irgendwie auch de Armas' Film. Den schrillen Darbietungen ihrer Co-Stars setzt sie eine zutiefst menschliche Heroine entgegen, die weinen, zweifeln, zögern und wegen ihres guten Herzens schlussendlich doch triumphieren darf. Johnsons Schulterschluss mit der Figur setzt ein Ausrufezeichen hinter die politische Agenda des Films, für die das Anwesen der Thrombeys zum US-amerikanischen Mikrokosmos ausgerufen wird. In diesem behauptet sich eine junge Immigrantin im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gegen die ihr entgegen schwappende Feindseligkeit, die sich - und hier macht Johnson womöglich seinen stärksten Punkt - nicht unbedingt in offener Herabwürdigung, sondern auch in egoistisch eingefärbter Solidarität äußert.
Fazit:
Anstatt sich eine Auszeit zu gönnen, hat Rian Johnson die Messer gezückt. Sein selbsttherapeutischer Rätselspaß ist ein bissiger Film, der den diskursiven Kriegsschauplatz Internet nicht einfach nur ratlos anklagt, sondern im Rahmen seines Krimiplots auch die Gelegenheit nutzt, um politisch konkret Stellung zu beziehen. Mit erfrischender Klarheit bringt "Knives Out" seine Aussage auf den Punkt, ohne dabei essenzielle Whodunnit-Qualitäten einzubüßen: der Film ist rasant, witzig, undurchsichtig und spielt gekonnt mit den Erwartungen seines Publikums. Der ehrfürchtige Kniefall vor allem Dagewesenen bleibt trotzdem aus. Das Regelwerk bekannter Vorbilder dient immer nur als Blaupause. Der schlussendliche Triumph, vor wie hinter der Kamera, stimmt zuversichtlich. Mächtiger als Schwert, Feder und Handytastatur ist am Ende vielleicht doch immer noch das Kino. Trivia & Fun-Facts: - Sowohl der Titel "Knives Out" als auch der Arbeitstitel "Morning Bell" sind Titel des Radiohead-Albums "Amnesiac" (2001).
- Nach "Logan Lucky" spielt Daniel Craig zum zweiten Mail eine Figur mit südländischem Akzent
- Daniel Craig und Ana de Armas werden nach diesem Film erneut zusammen zu sehen sein und zwar in "James Bond 007: Keine Zeit zu sterben"
Bilder und Trailer: © 2012 Universum Film GmbH
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