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AutorenbildHaiko

In den Fängen der Spionage - DAS ZWEITE GEHEIMNIS




Der Name Titus Müller steht für gut recherchierte Geschichten. Mit seinen Figuren, seinen expliziten Schilderungen der Ereignisse der jeweiligen Zeit und seinen angenehmen Schreibstil zieht er einen völlig in den Bann des Geschehens. Gerade ist der zweite Teil der Spionin-Reihe um Ria Nachtmann erschienen: DAS ZWEITE GEHEIMNIS. In DIE FREMDE SPIONIN, dem ersten Teil der Trilogie, sind die Grenzen der Stadt Berlin zwischen West und Ost des Jahres 1961 noch so weit offen, dass über 120.000 West-Berliner in Ost-Berlin und Umland und über 70.000 Ostberliner in den Westsektoren arbeiten konnten. Der Grenzübertritt der Arbeitnehmer war ganz normal und doch ist es eine besorgniserregende Zeit, deren Brisanz sich immer weiter zuspitzt. Wir folgen der Hauptakteurin Ria, die uns in Rückblicken ihre Geschichte eröffnet. Wie ihr Vater von der Staatssicherheit verschleppt und verhaftet, sie von ihrer Schwester getrennt wurde und in einer Adoptivfamilie aufwachsen musste. Nach Außen hin führt sie ein angepasstes Leben, macht sogar eine Ausbildung als Sekretärin und bekommt eine Anstellung im Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung. Innerlich ist sie aber aufgewühlt und leichtes Ziel verfeindeter Geheimdienste. Sie wird vom BND angeworben, der ihr im Gegenzug verspricht, bei der Suche nach ihrer Schwester behilflich zu sein. In fesselnden Passagen lässt Titus Müller Ria mit Minikameras und toten Briefkästen für den Klassenfeind aus dem Westen spionieren. Obendrein verliebt sie sich noch in Jens, einen Zeitungsredakteur der anderen Seite. Vereinzelt wechselt der Handlungsstrang Rias zu dem der Machthaber und wir können nachlesen wie Alexander Schalck-Golodkowski Devisen für die DDR beschaffte. Er führte Briefkastenfirmen und Handelsgesellschaften in vielen Ländern, lieferte unzulässig Waffen in Krisengebiete, umging Embargo-Gesetze, importierte Sondermüll aus der Bundesrepublik und West-Berlin und ließ sich dafür bezahlen. Auch der Häftlingsfreikauf gehörte zu seinen Aufgaben und machte Menschen zur nachwachsenden Ware. Anfänglich zahlte die BRD 40.000 DM für einen Häftling, später sogar 96.000 DM. Bis 1989 erlangten so 31.755 Häftlinge die Freiheit. Seine Kommerzielle Koordinierung, die KoKo, war sondergestellt innerhalb der sozialistischen DDR. Knackpunkt des ersten Teils war die Vorbereitung der kompletten Abriegelung des Landes und die völlige Spaltung der Stadt Berlin durch die oberste Riege um Erich Honecker. Der Bau der Mauer war beschlossene Sache und wurde nun organisiert. Waren schon die ersten Episoden in Rias Leben aufwühlend, verschärft sich ihre Situation dreizehn Jahre nach dem Mauerbau im Nachfolgeroman DAS ZWEITE GEHEIMNIS weiter. Um bei ihrer Familie bleiben zu können, entschied sie sich für ein Leben in der DDR. Doch ihre große Liebe zu Jens treibt sie dazu, sich heimlich mit ihm während eines Urlaubs im befreundeten sozialistischen Ausland zu treffen, was zugleich die Stasi auf sie aufmerksam macht. In bewegenden Abschnitten erklärt uns Titus Müller die Arbeit der Stasi: Worauf bei Passkontrollen geachtet wurde, wie sie bei Beschattungen operierten, wie Hausdurchsuchungen stattfanden und wie man regelrecht Jagd auf Menschen machte. Zentrale Handlungsorte sind in Berlin unter anderen die Friedrichstraße, das Stasigefängnis in Hohenschönhausen oder das südlich von Berlin, in Sachsen gelegene, Bautzen. Das alles bettet Titus Müller in eine Geschichte mit wahrem Hintergrund und Ereignissen, die wahrhaftig stattfanden. Zum einen lesen wir über Willy Brandt und dessen Referenten im Kanzleramt Günter Guillaume im Westen, zum anderen finden im Osten die Weltjugendspiele statt, die eine weltoffene DDR repräsentieren sollten. An den neun Veranstaltungstagen feierten acht Millionen Menschen in Ostberlin, darunter waren 25.000 Besucher aus 140 Ländern. Unter den Feiernden mischten sich unglaubliche 27.000 Mitarbeiter der Staatssicherheit. Und mittendrin befindet sich Ria, deren Herz weiterhin für Jens schlägt und die Kontakt zu ihrer Tochter Annie sucht. Annie wird vom Staat an einer Kinder- und Jugendsportschule intensiv gefördert, nahezu drangsaliert. Medikamente werden den jungen Sportlern zur Leistungssteigerung verabreicht, sie werden unter Druck gesetzt und so erpressbar für die Staatssicherheit gemacht. Auch an Annie treten sie heran. Rias Schwager Henning rückt in diesem Teil als zentrale Figur in den Vordergrund. Er arbeitet als Grenzsoldat an vorderster Stelle. Der Mauer kommt kaum jemand näher als er. Mit seinen eigenen Gedanken und Schilderungen sehen wir die Arbeit dieser Grenzsoldaten auf dem Todesstreifen, wie er aufgebaut war und wie menschenverachtend die Sperranlagen funktionierten. Als Henning die Republikflucht wagt, liest man, was es heißt, auf Menschen zu schießen. Die Republikflucht schlägt fehl und doch gibt Henning nicht auf und was Ria damit zu tun hat und warum plötzlich Hähner vom BND wieder den Kontakt zu ihr sucht, muss man schon selbst nachlesen in DAS ZWEITE GEHEIMNIS von Titus Müller. Fazit: Wiederkehrend in all seinen Werken macht Titus Müller die Vergangenheit greifbar, auch hier. Er zeichnet brillant ein Bild wie ideologisch fixiert, erbarmungs- und gewissenlos die Geheimpolizei der DDR arbeitete. Ohne Rücksicht auf Verluste werden Personen zersetzt, Familienmitglieder zur Mitarbeit gedrängt. Das Ministerium für Staatssicherheit spinnt so ein Netz aus inoffiziellen Mitarbeitern, dem bis zum Scheitern der DDR 1989 rund 189.000 Menschen angehörten. Dabei lässt Titus Müller die Gegenseite nicht farblos und verpasst ihr mit der Verhörspezialistin Marga ein Gesicht. Aufwühlend, wenn man bedenkt, dass das Gelesene keine Fiktion ist und auch wenn die Figuren erfunden sind, die Hintergründe entstammen nicht der Einbildung eines Romanautors. Jetzt muss man bis nächstes Jahr warten, denn da erscheint mit DER LETZTE AUFTRAG das Finale der Reihe. Eigentlich schade, es könnte gerne weitergehen.



Bilder: © Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

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