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AutorenbildHaiko

Bücher wider das Vergessen - Lesung aus DAS ZWEITE GEHEIMNIS mit Titus Müller


Im Nordosten Berlins laufe ich von der Bushaltestelle zum heutigen Termin durch eine beschauliche Gegend. Die kleinen abgehenden Straßen rechts von mir sind gerade und durchkreuzen eine verträumte Einfamilienhaussiedlung. Die meisten Häuser sind neu. Man wünscht sich hier mal zum Grillen eingeladen zu werden. Aber irgendwie täuscht die schöne Idylle. Vereinzelte Häuser haben noch eine alte Fassade, diesen typischen Kratzputz der DDR. Ich spüre förmlich, dass mit diesem Ort etwas nicht stimmt. Ein Ort, der jahrelang auf keinem Ostberliner Stadtplan eingezeichnet war. Laufe ich einige Schritte weiter, befinde ich mich mitten in einem militärischen Sperrbezirk - einem ehemaligen zum Glück - der von der Außenwelt hermetisch abgeriegelt war. Hier befand sich die zentrale Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit. Ich befinde mich in Berlin-Hohenschönhausen. Ein Ort, der kaum wie ein anderer in Berlin und dem ganzen Rest Deutschlands mit der 44-jährigen Geschichte politischer Verfolgung während der sowjetischen Besatzung mit der DDR verknüpft war. Heute befindet sich hier eine Gedenkstätte. Interessiert man sich für Geschichte, für die Vergangenheit Berlins, führt dort kein Weg vorbei. Der perfekte Ort für eine Lesung und Buchvorstellung in der tollen Lesereihe der Gedenkstätte „Bücher wider das Vergessen“, denn zentrale Passagen des Romans DAS ZWEITE GEHEIMNIS spielen in diesem Gebäudekomplex des Jahres 1973 … als dieser Ort noch keine Gedenkstätte war.



Im Filmraum A treffe ich auf den Autoren Titus Müller, der in der DDR aufwuchs und seine Kindheit selbst als schön empfand. Vielleicht kann man ihm anmerken, dass er Sohn eines Pastors und einer Krankenschwester ist. Er ist höflich, zuvorkommend, von Kopf bis Fuß sympathisch. Trotz des Erfolges - für seine Romane wurde er u.a. mit dem C.S. Lewis-Preis und dem Sir-Walter-Scott-Preis ausgezeichnet und mit DIE FREMDE SPIONIN schaffte er es auf die Spiegel-Bestsellerliste, um nur einige Anerkennungen zu nennen - auf dem Boden geblieben. Eigentlich wollte er Bäcker werden, berichtet von Durchsuchungen seiner Schultasche von Schulkameraden, dass er beim Fahnenappell kein Hemd tragen wollte und einmal vor Margot Honecker sang. Auf dem Tisch liegen heute zwei Romane: DIE FREMDE SPIONIN und DAS ZWEITE GEHEIMNIS. Letzteres ist der Mittelband der Ria Nachtmann - Trilogie. Ria ist zehn Jahre alt, als ihre Eltern von der Staatssicherheit abgeholt werden und sie von ihrer Schwester getrennt in einer Adoptivfamilie aufwachsen muss. Sie lebt ein scheinbar angepasstes Leben in der DDR. Lernt einen Beruf und wird Sekretärin im Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung. Doch in ihr drin brodelt es und mit ihrer Vergangenheit ist sie Ziel des BND. Im Hintergrund laufen die Vorbereitungen für die Geheimoperation „Rose". Das ist der Plot des ersten Romans. Heute spricht Titus bereits über den zweiten.


Für Titus ist diese wohl die spannendste Lesung. An einem Ort, wo Leute eingesperrt, mit Schlafentzug gesprächig gemacht wurden und es damals noch die Todesstrafe auf Spionage gab. Vieles fand gar nicht so im Geheimen statt, wie man es sich heute vielleicht vorstellen mag. Von den Hinrichtungen wurde offiziell in den Zeitungen berichtet, natürlich zur Abschreckung. Nach dem der Mauerbau im ersten Teil eine zentrale Rolle spielte, folgen wir wieder Ria, nun Jahre später. Titus fand es spannend, sich einmal anzusehen, was Liebespaare zu der damaligen Zeit machten. Als die Grenze noch offen war, verliebte sich Ria in den Journalisten Jens. Beide verloren sich aus den Augen und verabreden sich nun im bulgarischen Warna, denn dort konnten DDR-Bürger auf Bürger aus dem Westen treffen. Reisen ins kapitalistische Ausland war nur den Funktionären und einer Minderheit vorbehalten. Von diesem Wiedersehen nach vielen Jahren liest Titus die erste Passage auf der heutigen Lesung. Kurze Zeit später wird Ria von bulligen Männern zum Flughafen begleitet und nach Deutschland - ja quasi - zurücktransportiert. Dort wird sie zum Stasigefängnis geführt, an den Ort der heutigen Veranstaltung. Ich sitze zwar im Filmraum A, der renoviert ist und der nicht an das verfallene Früher erinnert, doch da ich das Buch im Vorfeld schon lesen konnte, stelle ich mir im Kopf die Szenerie vor, wie Ria in einem Auto einen Sack über den Kopf gezogen bekommt, damit sie nicht weiß, wo ihre Reise hingeht. Das schwere Außentor des Geländes öffnet sich. Die Scharniere ächzen unterm dem schweren Metall und machen den Weg frei … in die Hölle. Ria wird in ein Untersuchungszimmer geschleppt und trifft dort auf die Verhörspezialistin Marga. Aus diesem Verhör liest Titus die zweite Passage. Durch die Kraft seiner gewählten Worte fühlt man Rias Lage irgendwie mit. Welcher Druck auf sie und den echten Gefangenen geherrscht haben muss, bleibt dennoch unvorstellbar.


Wir machen einen Sprung und sind bei Rias Tochter Annie, die eine Elitesportschule besucht. Titus fand hier spannend bei seiner Recherche herauszubekommen, ob man sich unter diesen Bedingungen dennoch verlieben konnte und trat mit Besuchern solcher Sporthochschulen in Kontakt. Und man konnte. Der Apparat der Staatssicherheit sieht in Annie, die keinen besonders guten Draht zu ihrer Mutter hat, natürlich ein gutes Ziel und die Möglichkeit, sie gegen die Mutter auszuspielen. Sie wollen sie auf ihre Mutter ansetzen. Bleibt man beim Sport sind die Weltjfestspiele der Jugend das Ereignis dieser Zeit. Sie gaukeln eine weltoffene DDR vor. An den neun Veranstaltungstagen feierten acht Millionen Menschen in Ostberlin, darunter waren 25.000 Besucher aus 140 Ländern. Aber unter den Feiernden mischen sich auch 27.000 Mitarbeiter der Staatssicherheit, unter anderem verkleidet als FDJler. Es gibt 2.000 Festnahmen. Versuche von ausländischen Gästen, die Spiele für Proteste zu verwenden, wollte man unterbinden. Aber man konnte nicht alles verhindern. So spielte im Schutze von Jugendlichen auf dem Berliner Alexander Platz der Liedermacher Wolf Biermann, dem eigentlich ein Auftrittsverbot auferlegt wurde. Titus wollte unbedingt einen Ausschnitt aus einem Liedtext im Buch veröffentlichen. Sein Team sagte ihm dann aber, dazu benötigen wir die Genehmigung von Biermann. Also ging eine Anfrage raus und lange Zeit kam keine Antwort. Erst kurz vorm Druck kam das OK von Biermann, der sagte: „Könnt Ihr machen, aber nur, wenn ihr das ganze Lied abdruckt.“ So geschah es dann auch. Neben der Liebe und dem Sport darf natürlich bei den brisanten Staatsführungen dieser Zeit die Politik nicht zu kurz kommen. Also behandelt Titus in diesem Roman unter anderem die Guillaume-Affäre. Aber zu viel soll auch nicht verraten werden, denn alles könnt ihr selbst im spannenden zweiten Teil der Trilogie nachlesen: DAS ZWEITE GEHEIMNIS.


Bleibt nur noch der Ausblick auf den dritten Teil, das vermeintliche Finale. Fertig ist es noch nicht, Titus recherchiert noch fleißig, berichtet er. Eine zentrale Figur wird Wladimir Putin sein und seine Tätigkeiten als Spion in Dresden. Ob die aktuelle Zeit und Brisanz Putin in seinen dritten Teil katapultierte, verneinte Titus. Er war von Beginn an eingeplant. Die Vorfreude nach den ersten beiden mitreißenden Teilen ist vorprogrammiert. Mit den Ereignissen in der Ukraine wurde aus einem für beendet erklärten Kalten Krieg plötzlich wieder ein Heißer Krieg, mitten in Europa. Ob die Spionage per se für schlecht erklärt werden kann, kann Titus nicht so wirklich unterschreiben. Schließlich hat die Spionage der Alliierten während des Zweiten Weltkrieges den Krieg um geschätzte ein, zwei Jahre verkürzt, sagt er. Geht es um Spionage, wirft Titus von der ersten Seite an die moralische Frage in die Waagschale. Das ist das Spannende an seinen Büchern. Ich bleibe ihm Treu und bin auf der einen Seite gespannt, was Ria weiterhin widerfährt, was noch von Titus Müller erscheinen wird und auf der anderen Seite habe ich das Glück, auf den Autoren Titus Müller erst spät aufmerksam geworden zu sein, so habe ich noch einige Werke von ihm vor mir, die ich nachholen kann. Gerade zu Ende gelesen habe ich sein Buch NACHTAUGE, das von einem ungewöhnlichen Liebespaar im Zweiten Weltkrieg handelt, von strategisch wichtigen Talsperren in Deutschland und natürlich darf bei Titus eine Spionin nicht fehlen, dieses Mal ist es eine deutsche in Großbritannien. Lesenswert … wie bis jetzt alles von Titus Müller.

Bild: © Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

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