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HEAT - Vom Leben und Sterben in L.A.

Denkt man an Gangsterfilme, kommt einem auch gleich der Name Michael Mann in den Sinn. Was eigenartig ist, denn in seiner Filmografie findet sich exemplarisch auch die Romanverfilmung DER LETZTE MOHIKANER mit Daniel Day-Lewis in der Hauptrolle. Geprägt hat ihn sein frühes Schaffen an der Fernsehserie MIAMI VICE, bei der er maßgeblich als ausführender Produzent an dem visuellen Design verantwortlich war. Mit HEAT schuf Michael Mann Filmgeschichte und ließ erstmals Robert De Niro und Al Pacino gemeinsam in einer Szene auf der Leinwand zusammenprallen. HEAT basiert auf demselben Drehbuch wie Manns Fernsehfilm SHOWDOWN IN L.A. aus dem Jahre 1989. Auch wenn der Film keinen renommierten Filmpreis erhielt, gilt er als das Meisterwerk von Michael Mann. Er beruht auf wahren Ereignissen, in denen im Mittelpunkt die Konfrontation des Polizisten Chuck Anderson mit dem Kriminellen Neil McCauley im Chicago der 1960er Jahre steht.

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Neil McCauley (Robert De Niro) überfällt als Anführer einer Bande einen Geldtransporter und stiehlt zielgerichtet Inhaberschuldverschreibungen. Doch ein Mitglied tötet unbeherrscht dabei einen Wachmann. Damit keine Zeugen hinterlassen werden, erschießt die Gruppe noch zwei weitere Wachmänner. Vincent Hanna (Al Pacino) vom Raub- und Morddezernat des LAPD wird auf den Fall angesetzt. Es entwickelt sich eine nervenaufreibende Hetzjagd.

Die Schlüsselszene des Films, in der während einer Verfolgung die beiden Protagonisten ungeplant aufeinandertreffen, ist weniger ein Gefecht sondern mehr intensiver Gedankenaustausch. Da sitzen sich die vielleicht größten Schauspieler ihrer Generation gegenüber. Der Cop und der Dieb. In einem Diner. Eine fantastische Szene. Das Gespräch entpuppt sich als vertrauliche Konversation, in der beide sich gegenseitigen Respekt bekunden. Gerade hier bewirkt der Schuss-Gegeschuss-Schnitt als schaue der jeweils andere in einen Spiegel. Sie verstehen einander, doch beide wissen, das nächste Aufeinandertreffen wird mit dem Tode enden und nach einem misslungenen Banküberfall und atemberaubender Verfolgungsjagd kommt es dann letzten Endes auch zum Showdown am Fuße der Rollfelder des LAX. Davor gibt es noch eine, nein vielleicht die spektakulärste Schießerei der Filmgeschichte auf offener Straße.

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Der ganze Film erzählt aus verschiedenen Blickwinkeln von den Beziehungen und das Leben der Polizei und der Kriminellen, von deren Arbeit und deren Vorgehensweisen. Beide Anführer haben eines gemeinsam: Sie haben schon lange zuvor ihr Privatleben aufgegeben. Während der Gangster sich an nichts hängt, was er nicht nach 30 Sekunden wieder vergessen könnte, wenn der Boden zu heiß wird, lebt der Cop nicht mit der Freundin, sondern vielmehr für die Toten und Mörder da draußen. Es ist die Ähnlichkeit beider Charakteren, die die Lager verschwimmen lassen und man weiß gar nicht mehr, auf wessen Seite man eigentlich ist. Gibt es hier sogar einen Antihelden? Wer weiß. Daneben nimmt die Inszenierung von Los Angeles als urbaner Raum fast die Funktionalität eines dritten Hauptdarstellers ein. Das städtische Lebensgefühl ist erdrückend und Michael Mann kostet die Schauplätze in Gänze aus. Man fühlt in der Studie von Jäger und Gejagtem die Brisanz. Außerordentlich gute Schauspieler und eine Handlung frei von Klischees lassen HEAT zu einem der besten Heist-Movies werden.

Fazit:
Das Wort fesselnd ist hier noch untertrieben. Die Höhe der Spannung, die De Niro und Pacino hier offenbaren, haben sie wohl nie wieder in ihren Karrieren erreicht. Michael Mann zeigt mit HEAT gekonnt, wie man mit genialen Schauspielern und weiteren Ressourcen noch mehr aus einem epischem Drehbuch herausholen kann. Auch wenn hier nicht alle überleben, lässt Michael Mann seine Hauptfiguren in seiner Romanvorlage HEAT 2 wieder aufblühen. Man würde sich gerne eine Verfilmung wünschen, aber selten passten Begriffe wie "unerreichbar" und "aussichtslos" besser als hier.



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© Warner Bros. Entertainment GmbH

Michael Mann spricht über eine mögliche Fortsetzung von HEAT

Filmemacher Michael Mann ist in diesen Tagen viel unterwegs und sehr beschäftigt. Zum einen führt seine Buchfortsetzung seines Meisterwerks HEAT aus dem Jahre 1995 die Bestsellerlisten an und zum anderen hat das Filmen seines langjährigen Projektes, das mit Stars wie Adam Driver, Shailene Woodley, Penélope Cruz und Patrick Dempsey besetzte Biopc FERRARI, in Italien begonnen.

Das 466-seitige Buch HEAT 2 hat er gemeinsam mit Meg Gardiner geschrieben. Das Buch erzählt von Geschehnissen von 1989, die sich sechs Jahre vor dem Film ereignet haben und von Begebenheiten, die nach dem Film spielen. Die Wege des professionellen Diebes Neil McCauley (Robert de Niro) und die des LAPD-Detektivs Vincent Hanna (Al Pacino) kreuzten sich schon unwissentlich Jahre vorher bei einem anderen großen Überfall. 

Immer wieder wurde in den letzten Wochen gemunkelt, dass Mann das Buch als Fortsetzungsfilm realisieren könnte. Mann sagte in einem Interview mit Games Radar schon einmal, dass er die Geschichte nicht als Serie adaptieren möchte, sondern eher das Projekt als Kinoerlebnis anlegen würde:

Es gibt fantastische Arbeiten im Fernsehen und aus irgendeinem Grund sind diese immer sehr kurzlebig. Dino De Laurentiis sagte einmal zu mir: "Michael, es gibt eine kleine Leinwand und eine große Leinwand." Das sagt alles.

Ich lege den Fernseher nicht beiseite, er hat wirklich ein goldenes Zeitalter gerade. Aber es gibt nichts Vergleichliches wie das große Erlebnis im Kino. Als wir bei der Academy eine Aufführung von HEAT hatten, hatte wahrscheinlich 80% des Publikums den Film noch nie auf der großen Leinwand gesehen und die Reaktionen waren erstaunlich. Ich hatte die ganze Besetzung da und Christopher Nolan moderierte. Es war wirklich faszinierend für mich den Unterschied und die Wirkung zu sehen.

Es wurde auch über zeitgenössische Thriller im Kino gesprochen.

Ich langweile mich einfach. Es ist nicht interessant. Ich meine, manchmal ist die Choreographie so unverschämt, das ist schon faszinierend. Sie ist gut. Aber generell: nein. Es ist einfach altbacken.

Falls es zur Fortsetzung von HEAT kommen sollte, müssen wir uns eh noch mindestens bis nach FERRARI gedulden müssen.

Wie fandet Ihr HEAT und würdet Ihr Euch die Fortsetzung ansehen?


Bilder: © Warner Bros. 

Ein neues Gangster-Epos? Unsere Kritik zu "The Irishman" | Filmtoast.tv

Inhalt:
Mafioso Russell Bufalino (Joe Pesci) nimmt in den 1950er Jahren den Kriegsveteranen und Lastwagenfahrer Frank Sheeran (Robert De Niro) unter seine Fittiche. Der vom Zweiten Weltkrieg in Gewalt erprobte Sheeran steigt schnell zum waschechten Gangster auf. Schließlich wird er von Bufalino zur rechten Hand von Jimmy Hoffa (Al Pacino) ernannt, seinerseits Kopf der Gewerkschaft der Lastwagenfahrer und nach dem US-Präsidenten zweitmächtigster Mann der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Freundschaft, die sich zwischen den beiden Männern entwickelt, wird auf die Probe gestellt, als die Beziehung zwischen Mafia und Gewerkschaft zu bröckeln beginnt. Die Ermordung John F. Kennedys im Jahr 1961 treibt einen Keil zwischen beide Parteien und Sheeran findet sich plötzlich zwischen den Fronten wieder. Eine Entscheidung muss getroffen werden.

Kritik:
Dreieinhalb Stunden geht der neue Film von Martin Scorsese. Netflix macht es möglich. Nicht nur die Laufzeit, sondern auch den Film selbst. In das Gangsterepos des Oscar-prämierten Regisseurs finanziell zu investieren, war kein großes Studio bereit. Superhelden- und Sternenkriegsabenteuer verstopfen weltweit Multiplexsäle, die Geschichtenerzähler des Kinos flüchten scharenweise zu Streamingdiensten. Zurzeit wird diskutiert, ob Marvel-Filme echtes Kino oder nur Vergnügungsparkfahrten seien. Scorsese selbst stieß diese Diskussion los. Nun fühlte er sich dazu berufen, seine Äußerung zu spezifizieren. Die Marvel-Filme seien Ausdruck eines konsumistischen Kinos und eines konsumistischen Kinos allein; ein Kino, das Filme hervorbringe, die wiederholt geprüft und modifiziert werden, bis sie eine ganz bestimmte Publikumslust zu befriedigen imstande sind. (1.) Drei Stunden ging das vorerst letzte Avengers-Abenteuer - der jetzt erfolgreichste Film aller Zeiten.

Im Kino von Martin Scorsese aber ging und geht es immer nur um Menschen. Um die Komplexität von Menschen und ihre widersprüchliche, zuweilen paradoxe Natur; wie sie sich lieben und verletzen und irgendwann selbst ins Auge blicken (müssen). (2.) "The Irishman" begann seine limitierte Kinoauswertung in den USA am 1. November 2019, drei Tage bevor Scorsese das Essay in der New York Times veröffentlichte. Seinen Text möchte man beinahe als Begleitbroschüre zum Film verstehen. Denn "The Irishman" ist der exemplarische Ausdruck dieses Kinos, für das Scorsese einsteht. Hauptattraktion des Films sind immer Frank Sheeran (Robert De Niro), Jimmy Hoffa (Al Pacino) und Russell Bufalino (Joe Pesci). Die Schauspieler, zu denen wir hinaufschauen; und die Figuren, an die sie ihre Körper verleihen. Der Mensch, ob auf dem Papier oder in Fleisch und Blut, ist das Herz dieses Kinos. Der Film versichert: Noch schlägt es.

Drehbuchautor Steven Zaillian entwirft zwischen diesen Figuren eine Konfliktdynamik, aus der der Film den Großteil seiner Qualitäten speist. Immerzu hängt man als Zuschauer an den Lippen der Figuren, sucht in den digital verjüngten oder alt geschminkten Gesichtern nach den kleinsten Regungen. "The most interesting and exciting thing in the whole world [is the] human face", hat Scorsese einmal gesagt. Nachdem man dreieinhalb Stunden zu den überlebensgroßen Gesichtern von DeNiro, Pacino und Pesci hinaufgeschaut hat, versteht man wieder warum. Wir schauen in diese Gesichter und versuchen zu erkennen, wie Sympathien entstehen und sich verschieben, Entscheidungen erst erwägt und dann getroffen werden. Wir sind gebannt von donnernden Wutausbrüchen, herzlichen Liebesbekundungen und schweigsamer Solidarität. Jede Geste und jedes Wort steht im Dienst sich wandelnder Beziehungsdynamiken. Menschlicher kann ein Kino kaum sein.

Erzählen tun Zaillian und Scorsese all das im Rahmen der Lebensgeschichte Sheerans, die irgendwo durchaus Aufstieg-und-Fall-Epos im Stil von "GoodFellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia""Casino" oder "The Wolf of Wall Street" ist, eine so konkrete Zuschreibung, einfach nur Selbstemulation zu sein, aber auch sanft verweigert. Die erste Stunde lang ist "The Irishman" nur Montage und Voice-Over; mit Mafiosi, die Häuserblocks regieren und sich direkt ans Publikum wenden; mit freeze frames und Texttafeln, die ins Bild krachen und uns darüber aufklären, welche Figur "Skinny Razor" und welche "Crazy Joe" genannt wird. Es ist eine Freude, Scorsese wieder das machen zu sehen, was er augenscheinlich am besten kann, vor allem da in seine Regie (und den Schnitt von Stammcutterin Thelma Schoonmaker) eine spürbare Altersmilde Einzug gehalten hat. Die passt ganz wunderbar in das thematische Konzept von Zaillians Drehbuch. Scorsese ist mit seinen Gangstern alt geworden.

Dementsprechend ist "The Irishman" von einem altersweisen Humor durchsetzt, der in den gewalttätigen Interessenkonflikten von Gewerkschaft und Gangsterviertel längst einen Sandkastenkrieg erkannt hat, in dem große Jungs mit hochentzündlichen Bauklötzen spielen. Die Texttafeln etwa nehmen spitzzüngig die gewaltsamen Tode der auf ihrem Karrierehoch operierenden Gangster vorweg. Durch diese Leichtfüßigkeit frisst sich mit verstreichender Laufzeit aber ein Gewissenswurm, der die Figuren zunehmend einzuholen droht. Der von Robert De Niro durch alle Phasen seines Lebens verkörperte Frank Sheeran wird zum Vermittler zweier Parteien, mit deren Anführern ihn gleichsam innige Männerfreundschaften verbinden. Dem politischen Werdegang von Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa ist der Mittelteil des Films gewidmet. Ihn geduldig und konzentriert mitzuverfolgen, zahlt sich aus - hier sät der Film alle Emotionen, deren Früchte er im Schlussakt erntet.

Zu sich selbst findet "The Irishman" so richtig erst dann, wenn er sich endgültig als Abgesang auf ebenjenes Subgenre zu verstehen gibt, das (unter anderem) von Scorsese einst zur unabdinglichen Populärkultur erklärt wurde. Beinahe dreißig Jahre sind vergangen, seitdem er Henry Hill (Ray Liotta) in das Zeugenschutzprogramm seines Gangster-Ruhestands schickte und ihm ein Bild immerwährender Angst vor dem Vergeltungsschlag mit auf den Weg gab. Vielleicht ist es Scorseses fortgeschrittenes Alter, das ihn nun zurück in die Arme der italienischen Mafia getrieben hat. Vielleicht ist es auch das, was ihn zwingt, dieses Mal bis ganz zum Schluss zuzugucken. Die einer epischen Erzähllogik folgende, in zig verschiedenen Zeitebenen aufgefädelte Lebensgeschichte von Frank Sheeran wird unter Scorsese zum tragischen Requiem für den Gangsterfilm selbst.

Familiäres Terrain wird zum dramatischen Hauptschauplatz ausgerufen. Die Loyalität gebietende Ideologie, der Sheeran sich verschreibt, schickt ihn auf einen Kollisionskurs mit dem eigenen Gewissen. Die überlange Laufzeit gibt den fatalen Entscheidungen, die er trifft (nie: treffen muss) und dem schmerzhaften Epilog, in dem Scorsese ihn schlussendlich ankommen lässt, viel Raum zum Atmen. So bitter, so reuevoll, vor allem aber so ausgiebig hat Scorsese seine Gangster noch nie die eigene Vergangenheit ausbaden lassen. Am Ende zeugen von ihr nur noch verblichene Fotos und entfremdete Töchter. Solche Figuren zu glorifizieren ist einfach, sie zu verdammen noch einfacher. Dass Scorsese ihre Taten für sich sprechen lässt, auf unmissverständliche Gesten ob ihrer Richtig- oder eben Falschheit verzichtet, zeugt einmal mehr von seinem innigen Vertrauen in die eigene Zuschauerschaft. Die Tür zu ihr wird vielleicht deshalb am Ende nicht ganz geschlossen.

Fazit:
Dreieinhalb Stunden geht der neue Film von Martin Scorsese. Obgleich nicht jede Minute immer packend, nicht jede Szene immer unmittelbar notwendig erscheint, möchte man im Nachhinein keine einzige missen. Inmitten hitziger Debatten um eine Definition kontemporären Kinos erinnert ein Großmeister daran, wie aufregend das menschliche Gesicht sein kann. "The Irishman" ist hinweg über die süße Versuchung des Gangsterlebens, verabschiedet glorreiche Mafiamythen in einen Ruhestand, in dem nur noch der Zerfall von Körper und Seele wartet. In einem Flashback zu Beginn des Films überwacht Frank Sheeran zwei deutsche Soldaten, die ihr eigenes Grab ausheben müssen. Er wundert sich über ihren Eifer, als würden sie hoffen, für ihre gewissenhafte Arbeit doch noch belohnt und am Leben gelassen werden. Nachdem sie fertig sind, erschießt Sheeran beide ohne zu zögern. And that's that. (NF)


1., 2.: Vgl.: The New York Times - Martin Scorsese: I Said Marvel Movies Aren’t Cinema. Let Me Explain.

Bild: © Netflix
Unsere Bewertung:

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Trivia und Fun-Facts:
- Für Al Pacino fühlten sich die Prozesse der Dreharbeiten an "The Irishman" wie in den 1970ern Jahren an
- Nach "Casino" aus dem Jahre 1995 ist dies der erste Film von Martin Scorsese, in dem Robert De Niro eine Hauptrolle übernahm
- Wenn es nach Robert De Niro gegangen wäre, hätte der Film den gleichen Titel wie der True-Crime-Report von Charles Brandt bekommen, der als Vorlage für das Drehbuch von Steven Zailian diente: "I Heard You Paint Houses."
- "The Irishman" hatte 106 Drehtage, den längsten Drehplan in der Karriere von Martin Scorsese